Was bedeutet Introversion?
Wer in unserer Gesellschaft wahrgenommen werden möchte, muss herausstechen. In Social Media, auf dem Campus oder in der Sportgruppe finden oft jene Menschen rasch Anschluss, die aufgeschlossen sind, gern auf andere zugehen oder den Smalltalk perfekt beherrschen. Extrovertierte Personen finden schnell neue Kontakte, denn daraus ziehen sie ihre Energie.
Bei introvertierten Menschen ist das Gegenteil der Fall. Soziale Interaktion kostet sie Kraft. Das liegt unter anderem daran, dass die Amygdala – der Teil des Gehirns, der eine wichtige Rolle bei emotionalen Reaktionen einnimmt – sehr aktiv ist. Reize von außen werden dabei intensiver wahrgenommen und verarbeitet. Das führt nicht selten zu schneller Erschöpfung im Vergleich zu extrovertierten Personen. Um die „Soziale-Batterie“ wieder aufzuladen, benötigen introvertierte Personen dann viel Qualitätszeit für sich.
Introversion im Studium
Um im Studium erfolgreich zu sein, muss ein introvertierter Charakter kein Nachteil sein. Im Gegenteil: Zurückhaltende Menschen besitzen oft andere Stärken, die ebenso wichtig sind, wie beispielsweise:
- Die Fähigkeit, gut zuhören zu können
- Eine hohe Konzentrationsfähigkeit
- Eine gesteigerte Kreativität
- Die Fähigkeit zur Reflexion und zum analytischen Denken
- Viel Empathie
- Eine starke Beobachtungsgabe
- Unaufdringlichkeit, Disziplin bzw. Selbstdisziplin und Geduld
Dass die meisten dieser Eigenschaften dem Studium zuträglich sind, dürfte auf der Hand liegen. Wer diese Charakteristika richtig einsetzt, zieht daraus Stärke und Energie.
Ruhe und Kommunikationsfähigkeit als stärkende Faktoren
Wenn du dich selbst als introvertiert beschreiben würdest und dich schnell von Gruppenarbeiten erschöpft fühlst, dann gibt es Taktiken, die dir im Studienalltag definitiv weiterhelfen:
- Ruhezeiten gezielt einplanen: Integriere Pausen in deinen Tagesablauf, die dir helfen, die Energie auszugleichen, die dir soziale Interaktionen rauben. Oft hilft es, sich gezielt ruhige Orte zu suchen. Gehe beispielsweise zwischen den Vorlesungen in den Park, statt in der überfüllten Mensa zu sitzen.
- Eine geeignete Lernumgebung wählen: Wenn du dich im Café oder auch in der Bibliothek überfordert fühlst, lernst du vielleicht besser zuhause. Noise-Cancelling-Kopfhörer sind in der Öffentlichkeit aber einen Versuch wert.
- Offen deine Bedürfnisse kommunizieren: All deine Freundinnen und Freunde lernen zusammen in der Bibliothek, aber du lernst effizienter und entspannter zuhause? Dann steh dazu und achte auf deine Bedürfnisse. Sei deinen Kommilitonen gegenüber von Beginn an offen mit deinen Bedürfnissen. Es gibt keinen Grund, sich dafür zu rechtfertigen, die sozialen Interaktionen begrenzen zu müssen. Wenn du das offen ansprichst, haben deine Kommilitonen sicher Verständnis.
- Dich selbst akzeptieren: Das richtige Gefühl für dich selbst ist wichtig. So vermeidest du es, extrovertierten Idealen nachzulaufen. Außerdem erkennst du deine eigenen Stärken viel besser, wenn du ein Selbstmitgefühl entwickelst.
Gruppenarbeiten meistern
Gruppenarbeiten werden schnell chaotisch und können besonders für introvertierte Menschen eine Herausforderung darstellen. Eine
effektive Organisation von Lerngruppen
ist daher entscheidend, um produktiv zu bleiben. Such dir für Studienarbeiten nicht unbedingt die besten Freundinnen und Freunde aus, sondern lieber Mitstudierende, die deinem persönlichen Lern- und Arbeitstyp entsprechen.
Freunde finden – nicht trotz, sondern gerade wegen der Introversion
Okay, es fällt dir schwerer als vielen Mitmenschen, auf andere zuzugehen. Belanglose und oberflächliche Gespräche übers Wetter oder das Länderspiel vom Vortag belasten dich eher – und das ist total in Ordnung. Wenn du dennoch Freundschaften fürs Studium (oder darüber hinaus) aufbauen möchtest, gibt es ein paar Strategien, bei denen du dich nicht „verbiegen“ musst.
So hilft es zum Beispiel, Massenveranstaltungen zu meiden und stattdessen lieber kleinere Seminare, Lerngruppen, Stammtische oder Fachschaften auszusuchen. Dort fällt es meist leichter, tiefgründige Gespräche zu führen und Verbindungen aufzubauen. Auch Studierendenvereine bieten die Möglichkeit, Menschen mit ähnlichen Interessen zu finden. Das führt automatisch dazu, dass du vielleicht nicht viele, aber dafür enge Bande knüpfen kannst, aus denen gute Freundschaften entstehen können.
Und auch, wenn dir Smalltalk schwerfällt – manchmal bricht ein kurzer Satz schon das Eis. Wenn du in der Mensa eine Kommilitonin aus deinem Seminar triffst, frag sie doch einfach kurz, ob ihr demnächst mal einen Kaffee trinken wollt. Das ist ein guter und unaufdringlicher Einstieg. Und vielleicht hat sich die Kommilitonin einfach auch nicht getraut, dich dasselbe zu fragen.
Zudem kann es nützlich sein, wenn du dich in Signal- oder WhatsApp-Gruppen aufnehmen lässt und dich dort zunächst einmal online an Gesprächen bzw. Chats beteiligst. Dein gesunder Menschenverstand weiß schon bald gut einzuschätzen, welche Gruppenmitglieder sympathisch sind oder womöglich auch Anschluss suchen. Und später können aus den virtuellen ja auch echte Begegnungen werden.
Sei du selbst!
Introversion ist kein Zeichen von Schwäche, auch wenn genau das gesellschaftlich oft suggeriert wird. Du musst keinesfalls lauter oder sichtbarer sein, als du das selbst fühlst. Deine Fähigkeit, gut zuhören zu können, deine ruhige Art und dein gutes Einfühlungsvermögen sind ebenso wertvoll und kommen bei vielen deiner Mitmenschen gut an.
Such dir Unterstützung
Fällt es dir schwer auf deine eigenen Bedürfnisse zu achten und du fühlst dich regelmäßig überfordert und erschöpft durch soziale Interaktionen, kann eine
psychologische Beratung im Studium
sinnvoll sein, um individuelle Lösungen zu finden.
Fazit: Introvertiert sein, ist keine Schwäche
Introversion ist kein Zeichen von Schwäche oder Unsicherheit. Wer sich selbst zugestehen kann, zu den introvertierteren Menschen zu gehören, kann aus dieser Erkenntnis Stärke ziehen und Situationen vermeiden, die zu viel Energie kosten. Das gilt fürs Studium – und auch für den Aufbau eines kleinen, aber feinen Freundeskreises. Die einzige Bedingung dafür ist, dass du von Anfang an
offen kommunizierst
, welche Bedürfnisse du hast. Wer das nicht akzeptieren kann, kommt als Freundin oder Freund sowieso nicht infrage.